Am heutigen Montag (19.09.2016) beginnt unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Gesundheit die „Woche der Wiederbelebung“. Die ILS Traunstein möchte durch die sog. „Telefonreanimation“ und gezielte Erste-Hilfe-Anweisungen am Telefon dazu beitragen, im Ernstfall Leben zu retten. Sofortmaßnahmen und Erste Hilfe sind wichtige Elemente in der sog. „Rettungskette“ und oftmals entscheidend für den späteren Genesungsverlauf. Unabhängig vom Kenntnisstand bestehen bei vielen vermeintlichen Ersthelfern jedoch oftmals Ängste, da sie rechtliche Konsequenzen befürchten.
Über die Notrufleitungen aus den vier Landkreisen Altötting, Berchtesgadener Land, Mühldorf a. Inn und Traunstein gehen täglich im Durchschnitt über 600 Notrufe in der Integrierten Leitstelle Traunstein ein. Hierbei machen die Leitstellenmitarbeiter immer wieder die Erfahrung, dass bei den Anrufern Ängste vor möglichen rechtlichen Konsequenzen bestehen, wenn Erste Hilfe Maßnahmen falsch durchgeführt werden. Oftmals ist hier die Einstellung „bevor ich etwas falsches mache, mache ich lieber gar nichts“ festzustellen. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall. Der § 323c im Strafgesetz besagt nämlich folgendes:
„Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Umgangssprachlich wird hier von „unterlassener Hilfeleistung“ gesprochen. Das Absetzen des Notrufes sowie die Absicherung der Unglücksstelle sind jedem zumutbar und ohne Eigengefährdung durchführbar. Weitergehende Hilfe wie z. B.
– Stillen einer stark blutenden Wunde
– stabile Seitenlage beim bewusstlosen (jedoch atmenden) Patienten
– Herzdruckmassage beim Patienten mit Atemstillstand (Laienreanimation)
– Lagerung des Patienten (z. B. bei Atemnot oder Schockzuständen)
– Wärmeerhalt
– psychische Betreuung
muss man von einem gesunden Ersthelfer verlangen dürfen. Allein die Durchführung einer Laienreanimation verdoppelt bis verdreifacht –unabhängig von ihrer Qualität- die Überlebenswahrscheinlichkeit. Was wäre, wenn dies auch noch mit einer hohen Qualität passierte? Die Quote der Laienreanimation ist in Deutschland (14%) erheblich niedriger als in anderen europäischen Ländern (z. B. 50-70% in skandinavischen Ländern). Die Fachliteratur geht davon aus, dass bereits 3 min. nach einem Herzkreislaufstillstand unwiderrufliche Schäden des Gehirns auftreten. Obwohl der Herzstillstand in ca. 60% der Fälle beobachtet wird, beginnen in weniger als einem Fünftel der Fälle Zeugen mit Wiederbelebungsmaßnahmen und übernehmen damit mechanisch die Funktion des Herzens. Da der Rettungsdienst zwar sehr schnell, aber nahezu niemals in 3 min. beim Patienten sein kann, ist man in genau diesen entscheidenden Minuten auf die Maßnahmen der Ersthelfer angewiesen.
In welchen Fällen ist es den Ersthelfer nicht zumutbar, die Ersthelfermaßnahmen auszuführen? Das Strafgesetzbuch spricht hier von der Eigengefährdung und der Verletzung anderer Pflichten:
– Patient im brennenden Auto oder Haus, gefährliches Fließgewässer oder wenn der Ersthelfer selber nicht schwimmen kann
– wenn durch eine verantwortliche Person z. B. eine Kindergartengruppe unbeaufsichtigt zurückgelassen werden müsste, um die Erste Hilfe zu leisten – ein beruflicher Termin oder ein gebuchter Flugtermin zählen jedoch nicht zu den „wichtigen Pflichten“ und bieten keine Rechtfertigung für die unterlassene Hilfeleistung
Wie ist es mit der fehlerhaft geleisteten Hilfe? Hierzu kann folgendes festgestellt werden: Ergreift der Ersthelfer mit der gebotenen Sorgfalt und seinen Fähigkeiten entsprechende Maßnahmen, so ist eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung nicht gegeben. Da es sich um eine akute Ausnahmesituation und beim Ersthelfer um einen medizinischen Laien handelt, ist selbst dann ein Schuldvorwurf unter den vorgenannten Voraussetzungen zu verneinen, wenn sich der Gesundheitszustand durch eine falsche Maßnahme wider Erwarten verschlechtert.
Wie ist die Rechtslage bei der Angst vor einer Sachbeschädigung? Auch diese Angst ist absolut unbegründet, da sich Maßnahmen wie die Beschädigung der Kleidung bei der Versorgung eines Unfallopfers oder Einschlagen von Türen oder Fenstern über den § 34 Strafgesetzbuch, den sog. „rechtfertigenden Notstand“, begründen.
Auch wird oftmals die Frage nach möglichen Schadensersatzansprüchen gestellt. Hier ist festzustellen: Nur wenn die Erstmaßnahmen grob fahrlässig oder unsachgemäß durchgeführt würden, könnte ein Anspruch auf Schadensersatz entstehen. Die Voraussetzungen für die grobe Fahrlässigkeit werden jedoch von den Gerichten sehr eng ausgelegt, z. B. wenn eine blutende Wunde am Kopf mit Abbinden am Hals behandelt würde.
Zusammenfassend ist somit klarzustellen, dass kein Ersthelfer mit rechtlichen Konsequenzen rechnen muss, wenn er seinen Fähigkeiten entsprechend die bestmögliche Hilfe leistet und so handelt, wie er es gelernt hat. Am gefährlichsten ist allemal das „Nichtstun“ und „Wegschauen“.
Nichtsdestotrotz appellieren wir an alle Bürgerinnen und Bürger, die Kenntnisse in der Ersten Hilfe aufzufrischen und verweisen hierzu an die Erste-Hilfe-Kurse, die beispielsweise von unseren Hilfsorganisationen angeboten werden. Da zur Rettungskette auch das richtige Absetzen des Notrufs gehört, wird nochmals an die sog. W-Fragen erinnert, welche von der Leitstelle unbedingt benötigt werden:
– WER meldet (Name und Adresse bzw. Standort)?
– WO ist das Ereignis?
– WAS ist geschehen?
– WIE VIELE Betroffene?
– WARTEN auf Rückfragen (erst Auflegen, wenn die Leitstelle das Gespräch beendet)

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